Seite wählen
Lilli Löbsack

Lilli Löbsack zum Achtzigsten

Seit über einem Dutzend Jahre gehört Lilli Löbsack dem Präsidium der DGLI an, zunächst lange Zeit als deren Vizepräsidentin und seit 2018 als Beisitzerin: Es sollten nun einmal die Jüngeren ran, beschied sie ihre Mitpräsiden. Aber was heißt das schon bei einer so vitalen Person, die – so denke ich – noch nie eine Position oder ein Amt als „Austragshäusl“ mißbraucht hat, sondern selbst wenn sie sich etwas zurückzieht, übernommene Verantwortung voll erfüllt. So auch hier: Meinungsstark wie seit jeher befruchtet und gestaltet sie die Willensbildung in unserem Gremium wesentlich mit – und wir sind ihr dankbar dafür.

Als Lilli im Spätherbst 1941 das Licht der Welt erblickte, war vielleicht nur wenig schön: Sicherlich die alte Kulturlandschaft ihrer Heimat in der südlichen Pfalz, die heute zeitgeistig, genußbetont die „Toskana des Nordens“ tituliert wird. Der 2. Weltkrieg tobte schon, der Überfall des verbrecherischen Naziregimes auf Rußland lag schon ein halbes Jahr zurück, Stalingrad noch ein gutes Jahr voraus, die totale Niederlage im Mai 1945 und das Ende des 1000-jährigen Reichs nach 12 Jahren waren noch nicht absehbar: Tod und Zerstörung, unendliches Leid all überall werden dem jungen Mädchen zumindest im Unterbewußtsein haften geblieben sein. Ein Leben in Freiheit und es in Eigenverantwortung nach ihrer eigenen Façon gestalten zu können, das war Lilli und ihrer Generation damals wahrlich nicht in die Wiege gelegt. Aber es kam zu ihrem, nein zu unser aller Glück anders: In der neu entstandenen Bundesrepublik Deutschland durfte sie in Freiheit – und sicherlich auch in der gewisser Spießigkeit der frühen Jahre – in Frieden, in wachsender Prosperität heranwachsen und ihren ganz persönlichen Pursuit of Happiness angehen.

Und wie mir scheint, das tat die junge Lilli auch mit Zielstrebigkeit. Das Studium der Rechte nahm sie zwar noch im quasi benachbarten traditionsreichen, jedoch unter dem Muff der Talare liegenden Heidelberg auf, um sich aber alsbald die Freiheit zu nehmen, ins ferne Berlin zu ziehen, diese ehemalige deutsche Kapitale und unruhige Frontstadt, die sich zum Zentrum der linke Studentenbewegung und gesellschaftspolitischer Experimente gemausert hatte. Die sich darin manifestierende Neugierde hat Lilli aber offenbar nicht vom Pfad eines freisinnigen Freiheitsverständnisses abgebracht. Nach ihrer juristischen Ausbildung blieb sie in Berlin und heuerte – für Linke eher kaum denkbar – bei der Berliner Staatsanwaltschaft an. Aber sollten nicht gerade Staatsanwälte als Organ der Rechtspflege eine besondere Sensibilität für die Freiheitsrechte des Einzelnen haben, die sie mit jedem Plädoyer und Strafantrag fundamental berühren?

In der Zeit des letzten sozialdemokratischen Senats unter Klaus Schütz und dann ab 1975 in sozial-liberalem Koalitionsumfeld kümmerte sie sich um die Strafverfolgung in der Stadt. Ob die neuen Dienstherren aus den Reihen der Freien Demokraten sie dann zu dem entscheidenden Schritt brachten, sich dem organisierten Liberalismus in Deutschland zuzuwenden? Bei Hermann Oxfort, „ihrem“ ersten FDP-Justizsenator vermag ich mir das nicht recht vorstellen, bestimmt aber bei dessen Nachfolger Jürgen Baumann, einem der Granden der deutschen Strafrechtswissenschaften und mit Claus Roxin und Werner Maihofer erfolgreicher Vorkämpfer für eine längst überfällige moderne, liberale Reform des deutschen Strafrechts. Es mag vielleicht damals etliche verwundert haben, aber es war bestimmt kein Aprilscherz, daß Lilli am 1. April 1978 in die FDP eintrat und ihr auch in Sturm und Wind bis heute treugeblieben ist.

Nachdem dann – nicht unähnlich zu seinem Amtsvorgänger – kurz darauf Jürgen Baumann nach Befreiung und Flucht des Terroristen Till Meyer aus der JVA Moabit mit untadeligem Verständnis seiner politischen Verantwortung das Amt niederlegte, berief der neue Justizsenator Moritz Meyer Lilli zur Leiterin der Justizpressestelle und zu seiner Pressesprecherin. Damit war die noch junge Parteifreundin auf die Nahtstelle zwischen hoher Professionalität und Politik katapultiert worden, war erste Ansprechpartnerin der Presse für Justizangelegenheiten in einem Umfeld, das mit Tretminen reichlich gesegnet war, und mußte natürlich auch ihren Senator bestens „verkaufen“. Auf diesem Job war Lilli mitten im politischen Betrieb gelandet, ohne selbst Politikerin im eigentlichen Sinne zu sein.

Kann es da erstaunen, daß die nicht dienstrechtlich, aber faktisch „politische Beamtin“ Lilli Löbsack nach dem Ende der Regierungsbeteiligung der FDP in Berlin eine Auszeit nahm und als beurlaubte Beamtin für die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung einen rechtsvergleichenden Forschungsauftrag in Brasilien übernahm? Wie wir heute wissen, sollte Lilli später nie wieder in den Berliner Staatsdienst zurückkehren. Ihre letzte Tätigkeit in Berlin an einer Schlüsselstelle für das reibungslose Funktionieren von Regierungspolitik in die Verwaltungen hinein hatte sie gepackt und ließ sie fortan auch nicht mehr los. Kurzum: Sie hatte in diesem Grenzbereich der organisierten Staatlichkeit ihre Lebensaufgabe gefunden.

Nach dem erfolgreichen Brasilien-Projekt, das mit einer beachtlichen Buchveröffentlichung abgeschlossen wurde, ging sie zunächst für „Naumann“ nach Buenos Aires, um dort als Stiftungsrepräsentantin Argentinien nach der Militärdiktatur bei der Rückkehr der Demokratie, insbesondere durch aktive Zusammenarbeit mit den Institutionen der Zivilgesellschaft, über Politikberatung und -dialog zu unterstützen. Danach wurde sie nach Manila entsandt, wo sie nach dem Sturz des diktatorisch regierenden Präsidenten Ferdinand Marcos 1986 das neu geschaffene Projektbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Republik Philippinen eröffnete und dessen Aufbau tatkräftig vorantrieb. Als „Stiftungsbotschafterin“ pflegte sie engen Kontakt zur traditionsreichen Liberal Party und aus deren Reihen kommenden neuen Staatspräsidentin Corazon Aquino, der Symbolfigur der Opposition und des Widerstands gegen Marcos.

Auch als sie den Dienst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung quittierte, blieb Lilli in ihrem neuen Metier der internationalen Politik und der Entwicklungszusammenarbeit aufs engste verbunden: Bis zu ihrer Pensionierung plante und implementierte sie von Deutschland aus als Führungskraft bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und später beim Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung weltweit Entwicklungsprogramme. In dieser Zeit lernte ich Lilli als Expertin für Entwicklungspolitik im Bundesfachausschusses für Internationale Politik der FDP, dem sie nun seit Jahrzehnten angehört, kennen und schätzen. Und es war auch ihre schnörkellose wie zugewandte Art, ihre immense Berufserfahrung wie ihr praktischer Sinn für das Machbare sowie ihre tiefe Verankerung in Ideenwelt des Liberalismus, die unseren BFA zu einem wertvollen und beachteten, ehrenamtlichen Beratungsorgan des FDP-Bundesvorstands machte.

Die Zeitläufte wollten es, daß Lillis beruflicher Wirkungskreis sie wieder an den Ausgangspunkt Berlin zurückführte: Die ehemalige Staatsanwältin und Weltbürgerin ließ sich im „Unruhestand“ in der Bundeshauptstadt nieder. Und da Katzen das Mausen nicht lassen können, wie der Volksmund trefflich weiß, hat sie die Seiten in der Rechtspflege gewechselt und hilft heute als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin Menschen, die in die Mühlen der Justiz geraten sind. Aber nicht nur das: Diese freiheitsbewußte wie freiheitsliebende Dame, die auf den vielen Stationen ihres Berufslebens aus nächster Nähe beobachten konnte, wie unveräußerliche Freiheits- und Menschenrecht mißachtet und verletzt werden, legt ihr besonderes Augenmerk auf deren vehemente Verteidigung. Im hochangesehenen Human Rights Committee der Liberal International (LI), die im übrigen als einzige der internationalen Parteienfamilien, Beobachterstatus im Economic and Social Council der Vereinten Nationen (UN ECOSOC) hat, wirkte sie jahrelang als Vertreterin der DGLI mit und – wie sollte es anders sein – hinterließ auch hier ihre Spuren: Zum Beispiel initiierte sie mit ihrem Kollegen und unserem Mitglied Dr. Markus Englerth das Grundsatzpapier “10 Basic Rights of Accused Persons in Criminal Proceedings“, das das LI-Exekutivkommittee in Marrakesch einstimmig verabschiedete und in den UNO-Menschenrechtsrat eingebracht wurde.

Eine Politikerin im Sinne einer durch die Bürger gewählten Repräsentantin ist Lilli Löbsack nie gewesen. Ob sie eine politische Karriere jemals ernsthaft angestrebt hatte, bleibt dahingestellt. Ein Zoon politikon im besten aristotelischen Sinne ist sie ganz gewiß. Auch aktive Politikgestaltung aus der zweiten oder dritten Reihe in der unmittelbaren Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern, unverkrampft und selbstbewußt, der Sache der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dienend, ist ein Wesenskern unserer Zivilgesellschaft, unserer Polisgemeinschaft.

Danke, Lilli, für alles und fürs neue Dezennium von Herzen nur das Beste und auf viele inspirierende Begegnungen.

Manfred R. Eisenbach

Berlin, 02.12.2021 – Veröffentlicht auf der Webseite: Deutsche Gruppe der Liberal International