Seite wählen
Lilli Löbsack

Brasiliens neuer Präsident beendet mit einem Federstrich Schutzrechte ethnischer Minderheiten

12. August 2019

Für die indigenen Völker in Brasilien hat das Jahr 2019 und die Präsidentschaft von Jair Messias Bolsonaro, dem neuen rechtsradikalen Präsidenten, auf die denkbar schlechteste Weise begonnen.

Per Dekret entzog der Präsident bereits am ersten Tag seiner Amtszeit die Verantwortung für Identifizierung und Ausweisung von Indianerreservaten der bisher zuständigen staatlichen Indianerschutzbehörde (FUNAI) und übertrug sie dem Landwirtschaftsministerium.
Die neue Landwirtschaftsministerin, eine einflussreiche Agrarlobbyistin, hat sich schon als Abgeordnete gegen die Rechte der indigenen Völker positioniert und sich für die Ausweitung der kommerziellen Landwirtschaft in indigene Territorien eingesetzt.
Durch das Dekret vom 2. Januar 2019 hat der Präsident die 1967 gegründete Indianerschutzbehörde (FUNAI), deren Hauptaufgabe in der Erfassung und Eingrenzung von Indianerschutzgebieten bestand, praktisch entmachtet.

In Zukunft untersteht die FUNAI auch nicht mehr dem Justizministerium, sondern wurde in das Ministerium für Familie, Frauen und Menschenrechte eingegliedert. An der Spitze dieses Ministeriums steht eine Pastorin, die der evangelikalen Kirche angehört. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Agrar –und Bergbauindustrie sowie die evangelikale Kirche Bolsonaros Wahlkampf nach Kräften unterstützt haben. Bolsonaro selbst hat sich 2016 von einem evangelikalen Pastor im Jordan/Naher Osten taufen lassen. Er ist der erste Präsident Brasiliens, der nicht mehr der katholischen, sondern einer evangelikalen Kirche angehört.

Bereits im Wahlkampf hatte Bolsonaro angekündigt, den indianischen Ureinwohnern keinen Zentimeter brasilianischen Bodens überlassen zu wollen und darüber hinaus die von der Vorgängerregierung bereits ausgewiesenen Indianerreservate kritisch überprüfen zu lassen.
Die indigene Bevölkerung in Brasilien besteht aus etwa 800 Tausend Personen, das entspricht 0,4 % der Gesamtbevölkerung. Die Hälfte lebt auf traditionellem, also auf angestammten indigenen Territorien, davon etwa 98 % im Amazonas. Gemäß der Verfassung von 1988 hätten bereits Ende 1993 alle Indianerschutzgebiete demarkiert sein müssen. Bisher sind nur etwa 52 % der Territorien (Stand 2016), als Schutzzonen ausgewiesen. Die schleppende Vorgehensweise auch der Vorgängerregierungen wurde immer mit angeblich fehlenden Haushaltsmitteln entschuldigt. Die indigenen Völker erlangen jedoch kein Eigentum über das ausgewiesene Territorium, sondern nur ein „permanentes, unveräußerliches Besitzrecht“ an dem Gebieten, in denen ihre Vorfahren begraben sind und die für sie heilige Stätten sind. Ihnen steht das Recht zu, die natürlichen Ressourcen des Bodens und der Flüsse zu nutzen. Eigentümer aller von Indigenen besetzten Gebiete ist die brasilianische Union. (Art. 20 XI der Verfassung von 1988)

Brasilianische Juristen, u.a. der stellvertretende Generalstaatsanwalt, sehen in dem Dekret des Präsidenten einen klaren Verstoß gegen die Artikel 231 und 232 der Verfassung von 1988, die die Rechte der brasilianischen Ureinwohner schützen.

Nichtregierungsorganisationen (NGO), die sich dem Schutz der indigenen Völker verschrieben haben, prangern das Dekret als Frontalangriff auf die verfassungsmäßigen Landrechte der indigenen Völker an. Von der Kritik und den Vorwürfen aus den Reihen der NGO lässt sich der Präsident allerdings nicht beeindrucken, im Gegenteil. Die Regierung geht mit harten Bandagen auf Konfrontationskurs zu den NGO. Bolsonaro beschuldigt, sowohl in- als auch ausländische NGO die Indianerstämme im Amazonas zu erforschen, zu manipulieren, und auszubeuten. Um dem einen Riegel vorzuschieben, hat die Regierung jetzt eine strikte Kontrolle der Aktivitäten der NGO sowie von Art und Umfang ihrer Finanzierung angeordnet.

Das Dekret vom 2. Januar 2019 beinhaltet in der Tat nicht weniger als die Abschaffung der Schutzvorschriften zugunsten der indigenen Völker. Betroffen von diesem Dekret sind auch die Nachfahren geflohener afro-brasilianischer Sklaven, die in sog. „Quilombos“ (Siedlungen) zusammenleben. Ihnen garantiert die Verfassung von 1988 (Artikel 68) das Recht auf Landtitel. Die zuständige Behörde (INCRA) wurde jedoch ebenfalls dem Landwirtschaftsministerium zugeschlagen mit der Folge, dass die nur zögerlich voran gekommene Agrarreform zugunsten der „Quilombos“ gänzlich zum Erliegen kommen wird.

Umweltschützer sind nicht nur wegen der Aversion des Präsidenten gegen den Klimaschutz alarmiert, sondern weisen zu Recht daraufhin, dass die Ureinwohner Brasiliens in den Indianerreservaten unentbehrlich sind für den wirksamen Schutz des Amazonaswaldes; denn sie gelten als die besten Naturschützer und Hüter der Umwelt. Dagegen hält Bolsonaro Klimaschutz und Klimawandel für Hirngespinste und erwägt wie sein Vorbild Trump, aus dem Klimaabkommen von Paris auszusteigen

Mit dem gegen die indigenen Ureinwohner und die Quilombos gerichteten Dekret macht der neue Präsident den Weg frei für eine offensive Industrialisierung des Amazonas durch Agrarindustrie und Bergbauunternehmen. Das heißt, die Abholzung des brasilianischen Regen- Walds, der Bau neuer Staudämme und Wasserkraftwerke und sowie der Abbau von Bodenschätzen auf angestammtem Indianergebieten werden ungezügelt vorangetrieben.

Es ist abzusehen, dass mit der Verlagerung der Zuständigkeit auf das Landwirtschaftsministerium ab sofort keine Indianerreservate mehr ausgewiesen und sowohl bereits geprüfte Indianerschutzgebiete als auch die Übertragung von Landtitel auf die „Quilombos“ gestoppt werden.

Bolsonaro kehrt damit zurück zur Politik des Militärregimes von 1964 bis 1985, für das Sicherheit und Fortschritt alleinige Richtschnur war. Auch die Militärs sahen die indigenen Volksstämme und andere ethnische Minderheiten als Hindernisse für die Entwicklung Brasiliens.
Zwar ist das Dekret als provisorische Maßnahme der Exekutive , noch nicht Gesetz. Es erscheint jedoch angesichts des Mainstreams der brasilianischen Politik nahe zu ausgeschlossen, dass der Kongress eine entsprechende Gesetzesvorlage nach der vorgesehenen Frist von 120 Tagen ablehnen wird.

Mit seiner Politik zerstört Bolsonaro nicht nur die Lebensgrundlagen der ethnischen Minderheiten Brasiliens, sondern auch den internationalen Klimaschutz, denn das Amazonasgebiet ist als „grüne Lunge“ und Speicher von Kohlenstoff von globaler Bedeutung für das Weltklima.